ZIS-110 Ambulanz in der Presse

WELCHE Ambulanz-BAUFORMEN GAB ES?

  • ZIS-110 mit Sanitätseinrichtung

  • ZIS-110 Ambulanz mit einer vertikal öffnenden Heckklappe

  • ZIS-110 Ambulanz mit zwei vertikal öffnenden Heckklappen

  • ZIS-110 Ambulanz mit zwei horizontal öffnenden Heckklappen

Das obige Foto, welches frühestens in der zweiten Hälfte der 50er Jahre entstand, ist auf dem Werksgelände entstanden und füllte eine Doppelseite in einer leider nicht namentlich bekannten Zeitschrift.

Begriffsbestimmungen
Was sehen wir da eigentlich auf der obigen Abbildung?

Einen ZIS-110 A? Nein.
Ein ZIS kann es nicht sein, da diejenigen Fahrzeuge, welche nach der Umbenennung der Stalinwerke am 26. Juni 1956 entstanden, selbstverständlich den neuen Namen trugen. Bei dem Auto auf dem Foto handelt es sich also um einen ZIL, wie auch gut an der Beschriftung der Beifahrertür erkennbar ist.

Einen ZIL-110 A? Nein.
In keinem mir bekannten Originaldokument trägt dieser Wagentyp den Zusatz “A”. Stattdessen ist stets von “Ambulanz” die Rede.

Also ZIL-110 Ambulanz? Ja, aber mit einer kleinen Einschränkung.
In der DDR-Literatur wurden die Fahrzeuge stets als SIS bzw. SIL bezeichnet. DDR und UdSSR sind zwar Geschichte und selbst den Moskauer Hersteller gibt es nicht mehr. Damit sich aber auch meine ostdeutschen Leser beachtet fühlen, sei auf die alternative Schreibweise hingewiesen.

Martin-Hörner und bunte Lämpchen sollen nicht nur Aufmerksamkeit erregen, nein, sie tun es auch. Wie so viele Lebewesen, werden auch Menschen vom Licht angezogen. Obwohl der ZIS-110 Ambulanz zu einem der wenigen Fahrzeuge aus dem sozialistischen Lager zählte, welches auch photogen präsentiert werden konnte, sind zeitgenössische Presseberichte erstaunlich dünn gesät. An Abbildungen von Erntefahrzeugen hatte es hingegen kaum Mangel in der sozialistischen Tagespresse.
Versuchen wir unser Glück daher erst einmal in Übersee.

Oben abgebildet sehen Sie, werter Leser, drei zeitgenössische Ausschnitte aus US-amerikanischen Tageszeitungen, denen übrigens gemeinsam ist, daß sie auch heute noch (2023) erscheinen. Der Zanesville Times Recorder aus Ohio (20.05.1949) und das Lubbock Avalanche-Journal (29.05.1949), das in Texas herausgegeben wird, gehörten schon damals einem gemeinsamen Netzwerk an und so ist nicht verwunderlich, daß die Inhalte einander gleichen. Beide Blätter informierten ihre Leser im Mai 1949 von der Palette der Fahrzeuge, die in der UdSSR montiert wurden und erwähnen bei dieser Gelegenheit auch den ZIS-Krankenwagen. Die Chicago Daily Tribune aus Illinois weist in dem Artikel vom 19.09.1954 darauf hin, daß die Produktion der sonstigen ZIS-Limousinen zu einem Stillstand kam, abgesehen von einigen wenigen Krankenwagen.

Im Ogonjok, der ältesten Wochenzeitschrift Russlands, erschien in einer Ausgabe von 1949 ein Artikel über Industrieprodukte, die in Moskau hergestellt werden. Illustriert wurde dies unter anderem auch mit einer Fotografie eines ZIS-110A.

Die in der DDR erschienene Kraftfahrzeugtechnik 11/1951 druckte ein Foto, das ein Ambulanzfahrzeug zusammen mit einem sowjetischen Verkehrspolizisten abbildete. Die KFT wußte zu berichten, daß diese Wagen auf allen Straßen der UdSSR Vorfahrtrecht genossen.

Na, dann wollen wir ihnen mal Vorfahrt verschaffen. Auf diesem Foto ist der Krankenwagen, dessen vordere Stoßstange offenbar schon Feindberührung hatte, ausgestattet mit einem behelfsmäßigen Kühlerschutz.
In den vom Moskauer Werk überlieferten Dokumenten ließ sich bislang nichts finden, daß über die Funkausstattung Auskunft gab. Die Vermutung, daß diese aufgrund regionaler Initiativen erfolgt ist, liegt daher nahe.
Für diese These spricht nicht nur, daß lediglich einige wenige Sankras (Sanitätskraftwagen) über ein Funktelefon verfügten, sondern auch, das offenbar unterschiedliche Versionen existierten. So ist die massive, lanzenartige Stabantenne in schwarz auf dem oberen Foto unverkennbar. Üblich waren jedoch lange, flexible Peitschenantennen mit hellem Kunststoffsockel (siehe letztes Bild unten).

Die Zeitschrift Hobby benutzte in der Neujahrsausgabe 1954 das gleiche Foto, das bereits Jahre zuvor hinter dem eisernen Vorhang in der KFT veröffentlicht worden war, glaubte jedoch, die Wagen würden bei GAZ in Gorki produziert. Wer sowas glaubt, dem kann man auch die Überschrift “Autosalon Moskau” nicht mehr übelnehmen.

Auf den Fotos sind einige Wagen mit schwarzen Kühlerschutzhauben ausgestattet. Diese bestanden aus wasserunempfindlichem Kunstleder, abgesteppt mit Rautenmuster und wattiert mit echtem Roßhaar. Solange deren äußere Hülle unbeschädgt blieb, leistete diese Materialkombination oft viele Jahre gute Dienste, beispielsweise bei der Geräusch- und Wärmedämmung des Motordoms im Innenraum von Lastkraftwagen. Roßhaar, das aus der Pferdemähne gewonnen wird, war verfügbar, billig und durchaus geeignet, da dieses Material sowohl langlebig als auch formstabil ist und auch bis zu einem gewissen Grad feuchtigkeitsabweisend.
Doch im Außenbereich hatte die strapazierfähige Kunstlederhülle der Sonneneinstrahlung nur wenig entgegenzusetzen. Man spricht von der Alterung, wenn sich die Weichmacheranteile verflüchtigten. Die Oberfläche wird dann brüchig, ein Prozeß, der durch Kälte noch begünstigt wird. Oft riß der Stoff an den Nähten, Wasser drang ein, das nasse Fell hing heraus und begann zu riechen. Kunstleder fehlt die “selbstheilende” Kraft echten Leders, es kann einmal verloren gegangene Flexibilität nicht zurückgewinnen.

Solche Texte wie den obigen von 1955, der erneut einer Ausgabe des Ogonjok entnommen wurde, würde man wohl inmitten hunderter anderer als die typisch dümmliche Propaganda eines kommunistischen Landes identifizieren können. Was wäre wohl passiert, wenn tatsächlich “Arbeiter” der Stalinwerke Einladungen in kapitalistische Länder versendet hätten?! Sollte Ihnen die Vorstellungskraft fehlen, dann fragen Sie sich bitte, werter Leser, was Ihr Chef davon halten würde, falls es Ihnen einfiele, im Namen der Firma Einladungen an nordkoreanische Delegationen auszusprechen …
Moskau ließ es sich etwas kosten, als selbsternannte Welthauptstadt der internationalen Arbeiterbewegung zu gelten. Die Moskauer Stalinwerke in ihrer Funktion als propagandistischer Vorzeigebetrieb werden uns noch öfter auf unserer technik-geschichtlichen Zeitreise begegnen.

Die kleine Presseschau endet mit einer Aufnahme des ZIS-110 Ambulanz, die das Automobilmagazin Sa Ruljom (“Hinter’m Steuer”) im Jahr 1958 herausbrachte. Die kunstvoll verrissenen Lichtpunkte erschaffen die dramatische Atmosphäre einer Rettungsfahrt in hoher Geschwindigkeit. Schaut man genauer hin, erkennt man die geöffnete Fahrertür. Die Kippe im Mundwinkel des Fahrers entspricht dem seinerzeit vorherrschenden Zeitgeist. Auch noch ein halbes Jahrhundert später gehörten Aschenbecher und Zigarettenanzünder in jedem Neuwagen zum gesellschaftlich akzeptierten Standard.

 

Weiterführende Links

Quellennachweis

  • Abbildung 1 - unbekannte Quelle

  • Abbildung 2 - Zanesville Times Recorder aus Ohio vom 20.05.1949

  • Abbildung 3 - Lubbock Avalanche-Journal vom 29.05.1949

  • Abbildung 4 - Chicago Daily Tribune vom 19.09.1954

  • Abbildung 5 - Ogonjok 1949

  • Abbildung 6 - Kraftfahrzeugtechnik 11/1951

  • Abbildung 7 - unbekannte Quelle

  • Abbildung 8 - Hobby 01/1954

  • Abbildung 9 - Ogonjok 1954

  • Abbildung 10 - Sa Ruljom 1958

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ZIS-110 Ambulanz Sonderkarosserien Teil II